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Guter Wein Der namhafte Sommelier und Weinautor Bernd Kreis beantwortet die Frage, was denn eigentlich ein guter Wein sei, so: "... vor allem ein Geschichtenerzähler. Er plaudert von seiner Rebsorte, spricht vom Boden, auf dem die Reben stehen, berichtet vom Klima des Jahrgangs und offenbart, wie es ihm im Keller ergangen ist. Ein guter Geschichtenerzähler ist nicht geschwätzig, er wird niemals alles auf einmal verraten. Seine Erzählungen sind spannende Fortsetzungsgeschichten mit zahlreichen Variationen. Nach und nach gibt er seine Geschichten preis und steuert so auf das große Finale zu." Er meint damit handwerklich erzeugte Weine mit individuellem Charakter und sieht den Gegensatz in standardisierten Produkten aus, so Kreis, "inakzeptablen Praktiken der Weinindustrie". Nicht ganz so rigide sieht es der Moselwinzer Heymann-Löwenstein, er meint, dass ein "gut gemachter Industriewein" zumindest auch neugierig mache auf die individuellere Manufakturware vom Winzer und schon deshalb als "Einstiegsdroge" nicht nur existenzberechtigt sei, sondern auch eine zum Besseren hinführende Funktion habe. Sieht man für einen Augenblick vom Kulturprodukt Wein und seinem Nimbus ab, weiß doch eigentlich jeder, es gibt sie: gute Industrieprodukte. Wir kämen gar nicht ohne sie aus in unserer Massengesellschaft. Und auch das Gegenteil kennt man: Mancher Winzer, der für seinen handwerklich hergestellten Wein wirbt, steht auf einer Stufe mit dem Fliesenleger, Maler oder Elektriker, von dem man wünscht, man hätte ihn nie in die Wohnung gelassen. Qualität, und damit ist hier zunächst einmal das Produkt gewissenhafter Arbeit gemeint, einerlei ob vom kleinen Winzer oder einem Großbetrieb, hat einen gewissen Einfluss auf den Preis, das wird wohl jedermann akzeptieren. Wenn es sich dann um ein kleines Gut handelt oder eine exquisite Lage oder beides zusammen, obendrein auch noch im Ertrag der Stöcke beschränkt, dann steigt der Preis auch noch etwas höher Handarbeit in Steillagen verursacht nun einmal höhere Kosten als ein maschineller Vollernter, der durch die Rebzeilen des Flachlandes düst. So gewissenhaft und gründlich der Winzer seine Arbeit macht, er lässt sich dabei von gewissen Vorstellungen leiten. Er hat einen Standpunkt, eine Philosophie. Stuart Pigott meinte einmal, der Winzer müsse eine ästhetische Vorstellung von dem Wein haben, den er machen wolle. Das ist eine Ansicht. Es gibt auch Winzer, die wollen keinen Wein machen, sie sehen sich nicht als Macher, sie wollen so wenig in die Weinwerdung eingreifen wie möglich. Am liebsten wäre ihnen, ihr Wein ereignete sich. Nicolas Joly, der biodynamisch arbeitende Winzer von der Loire, gehört zu dieser Fraktion. Es gibt die Verfechter der reinen Lehre, die auf Spontangärung mit den natürlichen Hefen schwören, einige, die nur mit Holzfässern arbeiten, andere, die den Wein nur im Stahltank ausbauen, solche, die nur rebsortenreinen Wein gelten lassen wollen keine Cuvées, usw. usf. Insbesondere bei letzterem Gegensatz kommt es mir ein wenig vor wie seinerzeit der Streit abstrakte vs. gegenständliche Malerei. Man könnte inzwischen eigentlich akzeptieren, dass beide Richtungen herausragende Werke geschaffen haben. Ganz ohne Vorstellung lässt sich schwerlich vernünftig arbeiten, aber eine einzig richtige gibt es nicht. So wie ein Kunstwerk sich erst in der Wahrnehmung durch den Betrachter vollendet, ja eigentlich erst ereignet, so braucht auch der Wein seinen Trinker. Und beim Trinken spielt die Situation, in der wir ihn genießen, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das Weinlexikon von Horst Dippel bringt das unter dem Stichwort Weinfunktion exemplarisch auf den Punkt. "Ob ein Wein z. B. als alt, bitter, duftend, animalisch, wohlschmeckend, erfrischend, gut, schwach oder schlecht empfunden wird, hängt von der Funktion ab, die er zum Zeitpunkt seiner Konsumtion erfüllen soll. Wein wird niemals unter welchen Umständen auch immer funktionsfrei getrunken. Immer dient er einem Zweck: als Aperitif, als Essensbegleiter, als Terrassenwein, als Kneippwein, als polyphenolhaltiger Gesundheitstrunk zur Stärkung der Herzkranzgefäße, als Rauschmittel, als Coup d'Amour etc. Wie erfolgreich er die an ihn gestellten Erwartungen in den unterschiedlichen Konstellationen erfüllt, hängt von der Verzehrsituation ebenso ab wie vom eigentlichen Konsumanlass. Nicht zuletzt weichen Testergebnisse und Weinbewertungen über die Güte von Wein genau aus diesem Grund so grotesk voneinander ab, weil prinzipiell unklar ist, wer, was, wann mit welchem Wein warum tut oder tun könnte." Eine besondere Aufgabe hat der Wein, wenn er als Begleiter zum Essen gereicht wird. Es gibt traditionelle Kombinationen, die gut harmonieren wie Muscadet und Austern und traditionelle Vorurteile der Kategorie "zum Käse nur Rotwein". Tatsache ist, dass es glücklichere und weniger glückliche Kombinationen gibt. Allerdings gibt es zu diesem Thema so ausufernde Abhandlungen, dass ich es hier nicht weiter vertiefen, sondern noch einmal Bernd Kreis das Wort geben möchte: " ... haben die Deutschen das Thema gewohnt gründlich angepackt: Jedes Gericht soll optimal auf den Wein abgestimmt sein und umgekehrt. Aber oft endet die Suche nach dem passenden Wein mit nagendem Unbehagen. Hat man auch alles richtig gemacht? ... Täglich bin ich in meinem Beruf mit den Problemen der Verbindung von Wein und Speisen beschäftigt. Dies hat dazu geführt, dass ich in meiner Freizeit sehr viel großzügiger damit umgehe. Meist trinke ich den Wein, auf den ich gerade Lust habe, auch wenn er nicht haargenau passt. Das Vergnügen steht an erster Stelle ..." Um noch einmal die "Kunst" zu bemühen, es gibt Bilder die passen gut über's Sofa, das weiß man, aber gerade die nicht schon Konvention gewordenen Kombinationen eröffnen gelegentlich die eine oder andere neue Dimension. Der Wein ist gut, die Experten sind sich einig, alle haben ihn hoch bewertet, aber, verdammt noch mal, er schmeckt mir nicht! Stimmt, kann passieren, passiert sogar recht häufig. Neben der Qualität als solcher, die in gewissen Graden objektivierbar ist, gibt es schließlich den Faktor Subjekt. Und das Subjekt fragt vielleicht nicht: Was ist ein guter Wein, es fragt: Was ist ein guter Wein für mich! Nicht nur Austern, Aprikosen oder Artischocken werden von manchen Zeitgenossen partout nicht gemocht, dies gilt genauso für Wein. Entscheidend ist auch etwas wie Sympathie oder Kompatibilität, die sich im persönlichen Geschmack manifestiert, die so genannte "Chemie" soll stimmen; in der Tat handelt es sich ja, wenn wir Wein zu uns nehmen, um das Aufeinandertreffen zweier biochemisch hochkomplexer Existenzen. So wie wir vielen Menschen begegnen, einige sympathisch finden, andere erträglich, mit manchen Freund werden, so geht es uns auch mit Wein. Und dann gibt es eben auch besondere Begegnungen: Sternstunde, Matchpoint, Liebe auf den ersten Blick, ein unerhörtes Erlebnis, alles, aber auch wirklich alles stimmt, wir sind berauscht, berauscht im Sinne von entrückt, in einer anderen Dimension schwebend. Derartige Erlebnisse sind nicht den Grand Crus vorbehalten, sie sind auch mit einem schlichten Primeur möglich. So wie in der Liebe, sind Sternstunden auch beim Wein etwas rarer. Wenn Sie sich eine gewisse Neugier bewahrt haben und beim Weinkonsum gelegentlich etwas explorativ vorgehen, kann öfter was draus werden.
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